Johanna Wagner ist nicht nur Buchautorin, sondern bietet auf der Insel Seminare und Workshops für mehr Achtsamkeit, mentale Stärke und Stressregulation im Alltag an – und stößt damit nicht nur bei mir auf großes Interesse. Ich bin tiefer in ihre Vision und außergewöhnliche Lebensgeschichte eingetaucht.
Endlich mal abschalten – aber wie?
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal einen ganz Tag und eine ganze Nacht lang nicht auf mein Smartphone geschaut habe. Dieses Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen und sofort auf Nachrichten oder Anrufe zu reagieren, habe nicht nur ich. Ein Zustand, der in unserer schnelllebigen Gesellschaft irgendwie zur Gewohnheit geworden ist. Je länger ich darüber nachdenke, desto erschreckender finde ich ihn.
Als mich Johanna Wagner vor einiger Zeit kontaktierte und mir erzählte, dass sie Seminar- und Wanderwochen auf Sylt anbietet, in denen es darum geht, Kraft zu tanken, mal für ein paar Tage weitestgehend offline zu sein und sich mithilfe von Achtsamkeitsübungen wieder auf sich selbst zu fokussieren, fühlte ich mich angesprochen.
Schon lange beschäftigen mich die Frage, wie Achtsamkeit eigentlich funktioniert. Daher habe ich mich mit Johanna getroffen, um mehr über das Thema, aber auch über sie als Person zu erfahren.
Über Johanna Wagner
Johanna lebt auf Sylt und ist Managerin für angewandte Gesundheitswissenschaften und Physiotherapeutin. Nach der Schule und während ihres Studiums hat sie für längere Zeit in Südamerika und in Australien bei Menschen in einfachen Verhältnissen gelebt. Von ihren Auslandsaufenthalten, die ihr Leben komplett veränderten, berichtete sie zunächst auf einem Blog.
Als sie immer mehr Menschen ermutigten, ihre Geschichten auf die Seiten eines Buches zu bringen, wagte sie den Schritt. Im Selbstverlag veröffentlichte sie zunächst zwei Reiseerzählungen über ihre Zeit in Südamerika. „Schlaflos in der Regenzeit“ und „Zwischen den Zeilen Reisen“.
Mittlerweile ist ihr drittes Buch „Verlauf dich nicht“ erschienen, ein Wegweiser für ein einfaches und bewusstes Leben, entstanden auf Sylt. Denn 2014 zog die gebürtige Nordhessin auf die Insel und blieb. Daraus wird deutlich, dass Johannas Leben aus vielen verschiedenen Puzzleteilen besteht, die sich auch in ihren Seminaren widerspiegeln.
„Mein Leben gleicht einem Flickenteppich“
Sylt Fräulein: Johanna, was hat dich dazu bewogen, heute Seminare und Workshops auf Sylt anzubieten?
Johanna: Die Grundidee dazu trage ich schon immer in mir. Schon als Jugendliche habe ich mich gefragt, warum in der Schule kaum etwas zu den Themen Lebensführung und Persönlichkeitsentwicklung vermittelt wird. Es war also in dem Sinne keine Entscheidung – mich haben Fragen wie ‘Wie kann man ein gutes Leben führen?‘, ‚Was bedeutet eigentlich Glück?‘, aber auch die Überlegung, warum in unserem wohlhabenden Land so viele Menschen nicht wirklich glücklich zu sein scheinen, schon immer von innen heraus bewegt.
Wie ging es nach der Schule weiter für dich?
Für mich stand wegen genau dieser Gedanken fest, dass ich nach dem Abitur für längere Zeit mit Menschen in einfachen Verhältnissen leben wollte. Ich wollte raus aus dem Überfluss und arbeitete deshalb ein halbes Jahr in Brasilien, etwas nördlich von São Paulo. Die Menschen dort hatten nicht viel mehr als ihre unverputzten Häuschen, die kleiner waren als die meisten deutschen Wohnzimmer. Dort lebten sie als Großfamilie zusammen, wirkten auf unbefangene Art lebendig und waren sehr herzlich.
Diese Zeit hat mein Wertesystem komplett auf den Kopf gestellt. Was ich in erster Linie mitnehmen konnte, war die Erkenntnis, dass echte Zufriedenheit aus dem Inneren kommt und dass zu viel Materie das Leben eher beschwert als erleichtert. Ich wusste bei meiner Abreise auch, dass ich nach Südamerika zurückkehren würde.
Inwiefern hat dich die Zeit in Brasilien verändert?
Nach meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin habe ich erneut für ein halbes Jahr in Südamerika gelebt. Dieses Mal in Lima in Peru, wieder mit Menschen, die in der Gesellschaft keinen richtigen Platz haben, und habe mich daher viel mit sozialen Missständen beschäftigt.
Zurück in Deutschland war die Ungerechtigkeit für mich überall zu sehen – in jedem Supermarkt und in jedem Kleidungsgeschäft; in unserer Gesellschaft und global betrachtet noch viel mehr. Ich habe mich genauso privilegiert wie hilflos gefühlt, und selber plötzlich meinen Platz nicht mehr finden können.
Das ständige Jammern, die Suche nach dem schwarzen Fleck oder das ständige schneller, weiter, mehr konnte ich nun noch weniger nachvollziehen, aber besser einordnen. In meinen Seminaren greife ich den Ursprung dieser Themen auf und gebe Impulse für eine neue Ausrichtung.
Wie konntest du dich nach deiner Rückkehr trotzdem wieder zurechtfinden?
Das Ankommen nach meiner Zeit in Peru war herausfordernder als jeder Aufbruch. Bis mein damaliger Freund zu mir sagte: „Johanna, du tust dir keinen Gefallen damit. Du kannst die Dinge nicht ändern.“ Dann fing das Umdenken an. Zunächst hat mir das Schreiben viel Raum zur Verarbeitung geschenkt und schließlich habe ich überlegt, was ich im kleinsten Kreis in meinem Alltag verändern kann. Aus diesem Gedanken heraus ist schließlich das dritte Buch „Verlauf dich nicht“ entstanden. Die Resonanz zeigt mir, wie viele Menschen sich nach Einfachheit, Entschleunigung und Natur sehnen.
Du bist Selbstverlegerin – was bedeutet das?
Das bedeutet, dass ich alles rund um meine Bücher selbst mache. Vom ersten bis zum letzten Buchstaben, über die Fotos und das Design, die Organisation des Drucks in einer kleinen Druckerei nahe meiner Heimatstadt Melsungen, bis hin zu Marketing und Vertrieb. Jedes Buch, das rausgeht, geht durch meine Hände. Das ist unglaublich schön und unglaublich viel Arbeit – eine Leidenschaft.
Manchmal frage ich mich auch, warum ich das alles mache. Aber ich kann mich nicht dagegen wehren, es ist irgendetwas, das von innen nach außen möchte. Der innere Antrieb, der nichts plant und den ich (zum Glück) nicht ausstellen kann.
Wovon handelt das Buch „Verlauf dich nicht“?
Im Vorwort schreibe ich, dass ich gelernt habe, „dass es einfach ist, sich über das große Ganze zu echauffieren und sehr schwer, sein eigenes kleines Leben aufgeräumt zu halten.“ Es geht also gewissermaßen darum, sein eigenes kleines Leben auf den verschiedenen Ebenen aufzuräumen, das „Weniger-ist-mehr“ zu leben und für sich zu erkennen, wie zufrieden es macht.
„Verlauf dich nicht“ ist wahrscheinlich mein persönliches Stück Südamerika in Deutschland. Damit meine ich, dass das Buch Ideen gibt, um in unserer komplexen und schnelllebigen Zeit ein einfaches, bewusstes Leben zu führen. Obwohl das ganz leicht sein müsste, empfinde ich es als sehr schwierig. Man muss sich immer wieder daran erinnern.
Kannst du meinen Lesern und mit drei Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag geben?
Das Schöne der Achtsamkeit ist, dass wir sie nicht erlernen müssen, wir müssen uns einfach erinnern, präsent zu sein. Das gelingt am einfachsten über die Atmung. Sie ist ein automatisierter Prozess, den wir nicht bewusst steuern müssen. In dem Augenblick, in dem wir unsere Aufmerksamkeit auf den Fluss unserer Atmung lenken, sind wir ganz im Hier und Jetzt und mit uns selbst verbunden.
In der Achtsamkeit geht es auch darum, raus aus dem Autopiloten zu kommen, also ganz Alltägliches wie zum ersten Mal zu betrachten, ohne zu bewerten oder unmittelbar zu reagieren. Dementsprechend kann man jede Tätigkeit bewusst ausführen und mit allen Sinnen wahrnehmen, oder ein Gespräch führen, ohne bereits die Antwort zu formulieren, während unser Gegenüber noch spricht. Eine Sekunde Achtsamkeit kann da Wunder bewirken.
Was erwartet die Teilnehmer in deinem Seminar im Dezember?
Die sechs Tage setzen sich zusammen aus Wanderungen, Workshops und Achtsamkeitsübungen. Es geht vor allem darum, sich mit sich selbst zu verbinden und Impulse für kleine, aber wirkungsvolle Veränderungen im Alltag zu bekommen. Es ist ja so, dass wir heutzutage sehr vieles wissen und dennoch nicht umsetzen. Mir geht es darum, dass die Teilnehmer im Anschluss kleine Elemente als neue Bestandteile in den Alltag integrieren – für mehr Zufriedenheit und ein Gefühl der Selbstbestimmung.
Die Woche selbst soll entschleunigen, entspannen und vielleicht ein neues Bewusstsein für das Wesentliche im Leben schenken. Einfach mal raus aus dem Hamsterrad und der ständigen Erreichbarkeit des Alltags. Alle Impulse sind dabei als Angebot zu sehen, niemand muss sich zu irgendetwas gezwungen fühlen – die Verantwortung liegt immer bei uns selbst.
Seminar- & Wanderwoche
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Mich hat Johanna als Person sehr beeindruckt.
Ich finde es bewundernswert, dass sie immer ihrem inneren Gefühl gefolgt ist und etwas bewegen möchte. Stundenlang könnte ich mich mit ihr über das Leben unterhalten und ihr zuhören. Ich mag ihre offene, fröhliche Art.
Johannas drittes Buch habe ich übrigens in meinem letzten Urlaub in kurzer Zeit verschlungen. Ich habe darin so viele Anregungen für meinen Alltag gefunden und hatte an vielen Stellen ein „Aha-Erlebnis“. In der Zeit und sogar darüber hinaus habe ich es geschafft, mein Handy hin und wieder mal auszuschalten. Das ist zwar keine große Veränderung, aber der erste kleine Schritt für mich. alle drei Bücher bekommst du natürlich auch im Sylter Buchhandel.
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